BuddhaWeg-Sangha

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Fragen und Antworten

 

FREIHEIT

 

Gibt es vom Gesichtspunkt des Zen aus wirklich vollständige Freiheit oder ist man determiniert?

Ich glaube, es ist weder das eine noch das andere. Freiheit ist eine Frage des Grades, der Bewußtheit. Ein Stein am Wegesrand hat überhaupt keine Freiheit: Du trittst ihn mit dem Fuß, und er fliegt in die Richtung, in die du ihn getreten hast. Bäume können sich nach dem Licht ausrichten. Tiere können sich bewegen. Menschen können sich ihrer Bedürfnisse bewußt sein. Je weiter man in der Evolution voranschreitet, desto mehr geht man in Richtung von Bewußtheit; desto größere Freiräume gibt es. Das gilt auch für den Menschen: Je weiter man sich selbst kennenlernt, desto mehr entwickelt man auch seine eigene Freiheit. Der Freiheitsspielraum für jemanden, der nicht bewußt ist, ist sehr begrenzt. Es gibt Leute, die sehr konditioniert sind. Wenn wir uns durch die Praxis von Zazen unserer Konditionierungen bewußt werden, gibt es die Möglichkeit, über sie hinaus zu gehen.

Zazen zu praktizieren bedeutet wirklich, diese Freiheit zu erlernen. Wenn sich mir im Alltag ein Insekt auf den Kopf setzt, mache ich sofort so (schnelle Bewegung mit der Hand zum Kopf). Das ist keine freie Entscheidung, das mache ich ganz automatisch. Wenn aber ein Insekt kommt, während ich in Zazen sitze, beobachte ich: „Wird es sich jetzt hinsetzen oder nicht?“ Und ich werde mir dessen bewußt: „Werde ich mich jetzt bewegen, oder werde ich mich nicht bewegen?“ Da kann man diesen Freiheitsraum wirklich spüren: „Was will ich machen? Es gibt zwei Möglichkeiten: Bewege ich mich oder bewege ich mich nicht?“ Und ich glaube, je mehr man Zazen gewöhnt ist, desto mehr Freiheit hat man auch, Dinge vorüberziehen zu lassen, die automatischen Handlungen, Dinge, die konditioniert sind. Zazen gibt uns diesen größtmöglichen Freiheitsraum. - Das betrifft nicht nur die Insekten, sondern auch unsere Gedanken, unsere Impulse.

Ist dieser Eindruck von Freiheit nicht auch nur Illusion?

Ja, wenn man sich völlig frei fühlen würde. Ich glaube, man ist in einer gegebenen Situation frei, aber man ist nicht gänzlich frei. Das wirft die Frage des Karma auf. Denn man erntet die Früchte seiner Vergangenheit. Wenn man nicht an das Karma glaubt, kann man an Vererbung denken, an Konditionierung durch Erziehung. Man ist nicht frei, alles zu tun. Aber in einer gegebenen Situation kann man mit dem, was uns gegeben wurde, mit unserem Körper, mit unseren Fähigkeiten, mit all dem, was uns ausmacht einen größeren Freiheitsgrad finden, je mehr man sich dessen bewußt ist, was uns gegeben wurde, und auch, je mehr man sich der wechselseitigen Abhängigkeit der Phänomene bewußt ist.

Wenn man die Phänomene betrachtet, die von Augenblick zu Augenblick auftauchen, entscheidet man nie darüber, welche Phänomene auftauchen.

Aber du kannst eine Entscheidung treffen, wie du reagierst. Es gibt Phänomene, die von außen kommen, die unabhängig von uns sind. Und es gibt die Haltung, die man bezüglich dessen, was uns geschieht, einnimmt. Die Haltung, die man bezüglich dessen einnimmt, was uns geschieht, ist unsere Verantwortung. Je mehr man sich dessen bewußt ist, desto weniger muß man automatisch reagieren und desto mehr hat man einen Freiheitsspielraum, etwas zu tun oder etwas nicht zu tun.

Gefangene sind selbstverständlich durch ihr vergangenes Karma beeinflußt, denn deswegen befinden sie sich im Gefängnis. Ein Gefangener kann sich nicht entscheiden, seine Ferien auf der Gendronnière zu verbringen oder nach Belgien zu kommen, um ein Sommerlager mitzumachen. Aber innerhalb des Gefängnisses hat er verschiedenen Wahlmöglichkeiten: Es gibt Leute, die organisieren ihre Rache für den Zeitpunkt, zu dem sie aus dem Knast herauskommen. Andere Leute machen Zazen im Gefängnis. Ich glaube, daß jemand, der im Knast Zazen macht, viel freier ist, als viele Leute, die außerhalb des Gefängnisses sind und die nicht dieselbe Bewußtheit haben.

Unsere Freiheit ist das, was wir aus der Situation machen, die von außen an uns herangetragen wird. Das ist letztlich eine Frage des Vertrauens. Wenn du dieses Vertrauen in deine Freiheit nicht haben möchtest, kann ich dich davon nicht überzeugen. Auch das ist deine Verantwortung: Du kannst an deine Freiheit glauben und dich frei fühlen und ein verantwortungsvolleres Leben führen, oder du kannst dich entscheiden: „Ich bin nur konditioniert, ich kann nichts machen.“ Je nachdem, wie du dich entscheidest, ist dein Leben völlig anders. Ich ziehe es vor, an einen gewissen Freiheitsgrad zu glauben, daran, daß mir nicht alles erlaubt oder alles verboten ist.

Wenn es diese Freiheit nicht geben würde, wäre, so glaube ich, Christus nicht auf die Erde gekommen und Buddha hätte seine Schüler nicht unterwiesen. Denn, wenn dem so wäre, gäbe es ja nichts zu tun. Die Menschen könnten nichts tun, denn sie wären völlig konditioniert und man müsste die Welt einfach ihrem Untergang entgegen gehen lassen. Wenn Propheten erschienen sind, dann deshalb, weil sie den Eindruck hatten, daß es möglich ist, die Zukunft der Welt zu ändern, indem sie das Bewußtsein ändern. Dieses Vertrauen habe ich.

Aber du machst das, wie du möchtest. Es ist deine Freiheit, an die Freiheit zu glauben oder nicht.

 

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